© Kathrin Reichardt

Paddeln durch den Wipperdurchbruch

Samstag, 23.03.2024

Haste schon aus dem Fenster geguckt? Kathrin fragt ungläubig. Draußen wirbeln Schneeflocken zwischen Regentropfen und das bei Wind. Na toll! Aber gesagt ist gesagt und es steht im Jahreskalender von Erfurt Alpin: „leichtes Wildwasserpaddeln“. Wir haben uns für die Wipper entschieden (gemeint ist die Thüringer Wipper und nicht die kleinere Namensvetterin bei Aschersleben in Sachsen-Anhalt). Die letzten Jahre hatten wir entweder wegen fehlendem Wasserstand oder noch schlimmerem Wetter als heute die angesetzten Touren schweren Herzens ausfallen lassen. Diesmal musste es sein. Zumal alle anderen 4  Mitstreiter schon in den Startlöchern stehen (andere Anmeldungen wurden unter misteriösen Begründungen kurzfristig abgesagt – wer Wetterbericht lesen kann ist klar im Vorteil). Also los. 11 Uhr treffen wir uns in Bilzingsleben.

Gemäß Regenradar gibt’s zuerst die Kultur und dann den Sport. Kennt jemand die Ausgrabungsstelle Bilzingsleben? ... Wir auch nicht. Und es ist krass. Kaum zu glauben, dass hier an der Wipper vor 400 000 Jahren Waldelefanten, Höhlenbären, Löwen, Waldnashörner, Hyänen, Wildpferde und Wölfe herumgezogen sind. Und auch Freund Homo Erectus. Der hatte mit seiner Sippe hier wippernah eine Siedlung mit „Werkstatt“ an einem See. Das alles wurde vor allem in den 1970er bis 2002er Jahren unter einer 6-7 m dicken schützenden Travertinschicht ausgegraben. Bilzingsleben gilt als die älteste und wichtigste altpaläolithische Fundstelle Europas (nach genios.de ist es die älteste bekannte Siedlung der Welt). Besucher aus nah und fern kommen - und es gibt nicht mal ein Cafe. In England (Stichwort Stonehenge) wäre hier ein großer Rummel. Naja, es gibt also noch gewisse Reserven. Aber fahrt nach Bilzingsleben! Es ist sehenswert! (und Thermoskanne mit Kaffee und geschmierte Stullen nicht vergessen)

Aus der warmen Waldsteppe geht’s raus in die rauhe Wirklichkeit: 2-4!°, aber wenigstens scheint die Sonne.

In Seega ist Startort. Hartboote vom Autodach bzw. Pusteboot aus dem Kofferraum und Luft drauf – im Falle von Pascals Packraft. 2 Homo Sapiens bringen 2 Autos nach Bilzingsleben, eines stehen lassen und mit einem Auto zurück. Neben der Straßenbrücke Seega ist genügend Platz für Parken und Aufbau. Da der Fleischer nebenan erwartungsgemäß zu hat und wir damit auch fest gerechnet hatten, gibt’s flugs mitgebrachten Kuchen sowie Kaffee aus der Thermose. Und dazu eine Einweisung für unsere „Neuen“, denn schon unter der Brücke wartet der erste Schwall. Die Einweisung hilft – (leider?!) wird keiner kentern.

Ok. 13.45 Uhr. Das Riesenloch im Himmel heißt Sonne und so starten wir. Herrlicher Kleinfluss, der hier so schmal ist, dass eine Bootswendung gekonnt sein will. Das Wasser fließt flott dahin – es ist gerade „Durchschnittspegel“ Hachelbich. Links und rechts in bis 2 m Höhe hängen Strohreste und teils Plastetüten – bei Hochwasser wie im letzten Dezember siehts hier ganz anders aus.

Das Wolkenloch schließt sich – sozusagen Rollo runter und dunkel ists und bald prasselt der kalte Regen mit Weißeinschlüssen los. Zum Glück hatten wir unsere Regensachen beim Start schon angezogen, jetzt wärs unangenehm.

Wir kommen schnell voran und der Blick auf die Hügel und die vielen Wegzeichen oben an den Ufern sagen uns: zum Wandern werden wir uns auch mal hier einfinden.

Günserode grüßt und Eisvögel und andere Zwitscherer sausen rum. Dann die ersten Biberfraßspuren. Der Kollege nagt sich durch und hat schon einige Uferbäume umgelegt und sie auch teils ins Wasser fallen lassen. Wir kommen gut vorbei. Dann herrliche Lehmsteilufer so bis 2 m hoch. Kurz vor Bilzingsleben kommt die Sonne wieder raus und die große Wipperschleife wird zum Genuss – kurvig, schnell. Dann sind wir (leider schon) da. Ausbooten unter der Straßenbrücke und auf zum Holzpavillon. Die nassen Neoprenschuhe aus und warme trockene Socken und Schuhe an. Der mitgebrachte Grill ist schnell aufgebaut und bald sitzen wir 6 gemütlich im Pavillon bei Bratwurscht, Brätel, Sempf und Kartoffelsalat. Und Kaffee aus der Thermose. Und: n Bier!

Ja, dann mal: bis zur nächsten Tour auf einem der Thüringer Kleinflüsse (siehe Kasten).

Und die Wipper fahrn wir das nächste Mal auf jeden Fall von oberhalb Seega – bei gutem Wasserstand kann man fast von Bleicherode starten – dann sind es bis zur Mündung in die Unstrut bei Sachsenburg über 50 km.

Text: Bodo Wolf Fotos: Bodo Wolf und Kathrin Reichardt

Thüringen hat als Flüsse nicht nur die „großen“ zu bieten die da wären Saale, Werra und Unstrut, an welchen es auch diverse Kanuverleiher und daher auch eine teilweise touristische Nutzung gibt. Nein, allein der „DKV-Gewässerführer Ostdeutschland“ beschreibt für Thüringen noch ungefähr 40 Thüringer Kleinflüsse, in die man bei etwas Wasserstands-Glück mal ein Boot setzen kann. Die zahllosen weiteren kleinen und kleinsten Bächlein, die nur in besonderen Ausnahmefällen mal meterweise ein kleines Boot tragen können, sind hier nicht mitgerechnet.

Toursteckbrief:

Start:               Seega, kurz vor der Straßenbrücke Fluss-Km 21,5 (162 m NN)

Ende:              Bilzingsleben, an der Straßenbrücke            Fluss-km 11,2 (

(Summe 10 km)

Dauer:             ca. 2 h gemütlich, gab keine Unterbrechungen durch Umtragen o.

Kenterungen

Pegel:             Hachelbich: 38 cm und damit genau Jahresmittel, bei diesem Pegel sehr gut

fahrbar  (sicher auch noch bei Pegel 30, aber ab da kann es schon einzelne

Aufsetzer geben)

Wetter:            Mützenwetter: 2 bis 5°, kurze Wolkenlücken zwischen Graupel

Fluss:              Kleinfluss, auf dem befahrenen Abschnitt keine Wehre (oberhalb Seega aber

schon), keine Hindernisse bis auf teils würzige Kurven und ein

paar schöne Schwälle. oft schnelle Strömung

Wasser ziemlich sauber; die Ufer brauchen mal ein – bis 2 Frühjahrsputze

Gegend:          sehr schön; Wipperdurchbruch mit begleitenden Wanderwegen;

                        die Orte haben sich ein großes Maß Ursprünglichkeit bewahrt, bes. Günserode

mit „Gaffköpfen“ an den Fachwerkbalken

Tiere:              Eisvögel. Und Biberspuren so ab knapp vor Bilzingsleben, da her der Kollege

schon einige Bäume umgelegt

Kneipe:           bis auf Bilzingsleben keine

sonst:              keiner gekentert

Starter:            Bodo Wolf und Kathrin Reichardt im Oldtown-2er-Kanu    

                        Lutz Schneegaß im Lamanda

                        Pascal Peter im Decathlon-Packraft ITIWIT (das erste Mal dabei)

                        Lothar Krüger und Sohn Paul im Oldtown-2er-Kanu (auch das erste Mal dabei)

Org:                 Bodo für DAV Erfurt Alpin.

 

Kulturhinweis: Bilzingsleben Museum. Förderverein »Steinrinne« Bilzingsleben e.V.

Tel. 01512-9201571 Enrico Brühl. 10-17 Uhr | es gibt interaktive Videos

steinrinne@googlemail.com